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Geschichte ohne Ende

Die römische Festung London im Leib der Weltreiche, kriecht als greises Kind um die Läufe der Geschichte. Immer noch schlägt das Empire, Zögling römischer Zeuger, die alten Mächte der Ahnen in goldene Gesetzestafeln ein. Dem Royal Court of Justice gegenüber Lloyds Bank. Architektonische Begrüßung der Herrscher. Aus den Palästen strömen Männer in grauen Anzügen, den Inhalten japanischer Reisebusse ähnlich. Der Lauf zu den Imbissshops, Take away, ölen sich die Teile der Maschine Geld und Gesetz, für die nächste Kreuzigung. Wesen, die nachts in welchen Träumen wohl ertrinken. Aus den Genen trieft das Königshaus. - In einem Restaurant mein Versuch eine Bestellung aufzugeben. Das stotternde Englisch eines Deutschen und eines Bosniers. Dann das Essen, Stückwerk einer Biographie: Geflohen vor dem Krieg, ein Jahr in London, dieser Mann, in weißer Mütze und Kittel, der Uniform der Fastfoodketten, ein Fremdenlegionär hinter der Theke, nicht gern in dieser Stadt, aber dafür am Leben. Ob es schlimm ist mit den Nazis in Deutschland, und wie viele Türken leben im Land deiner Sprache, will er wissen. Die Frage nach Tat und Opfer in einem Stück. Er bricht seine Jahre auf, seinen und den Krieg des Volkes aus dem er kommt, und wir reden über unsere Stämme. - Im British Museum die Arbeit der Assyrer am Stein. Ihre Pferde haben fünf Beine, damit sich aus zwei Perspektiven immer vier ergeben. Das leise Argument der Kunst im Verkehr der Inselhauptstadt, wo von den Juwelen der Krone das Blut der Schlachten fließt, unsichtbar für den Strom der Besucher des Towers of London, denn in ihre Augen und wieder hinaus, springt der Glanz des Prunks der Könige, zweieinhalb Jahrtausende nach dem Untergang des assyrischen Weltreichs, das mit gleichen Ideen unterging. Doch die Kunst hat ein Bein mehr. - Nachts Hotel. Von den Wänden fallen schwere Träume. Wie viele Bilder schlafen im Stein? Wie viele Menschen trägt diese Mauer? Ich falle in eine dumpfe Nacht. Am Morgen schlägt das Licht den Raum, der Lärm der Straßen das Gehirn. - Wachablösung der Hourse Guard. Zwei berittene Garden. Marionetten auf Pferden. Die Brust der Soldaten, unter der das Herz schlägt, ein Panzer aus Blech, der in Silber strahlt. Unterm Zwang glänzt die Atemnot. Die Männer zerfressen vom Sold, wankende Mumien des Gehorsams, haben ihre Selbständigkeit unter hohen Helmen begraben. Nelson, der Gewinner über die Franzosen, der Admiral, der wusste, dass Soldaten die Futterkrippe des Krieges sind, der alte Offizier, die Leiche auf der Säule am Trafalgar Spuare, die Augen gerichtet auf die Hourse Guard, hat immer noch sein Stelldichein mit den lebenden Kadavern. - Westminster Abbey, eine feste Burg ist unser Gott, im Innern ein Rundgang, wo man über Leichen geht, fast jeder Stein Grabplatte mit Namen, ein Hinweis auf die Gebeine über die der eigne Weg sich setzt, Schritt für Schritt. Wer nicht über Leichen geht hat wie gelebt? Das Blut der Christenkriege unterm Stein. Der Glockenturm der weißen Abbey, weiß wie Schnee, rein das Gewissen, steht hoch. Unter ihm die alte Braut, flach liegt sie und breit, die Geliebte London. Und der Phallus, hart und hoch, lässt alle Stunde seine Glocken läuten, damit sie nicht vergisst, seinen Hunger nach Bewunderung. - Southwark, Bankside, am Südufer der Themse, schlägt das faule Wasser gegen den Damm. Grabungen an einem vier Jahrhunderte altem Fundament, legten den Rosenstock des englischen Theaters frei. Der Geist Heinrich des VI. wimmert leise unter der Macht der Hämmer, die das alte Haus neu zusammenhauen. The Rose, ein zweistöckiger Kreis aus Stein, im Hof die Bühne, Kastell der Dramen, soll wieder blühen, konserviert in fremden Zeiten. Hamlet, leidend am Geist des Vaters, Ophelia, die junge Selbstmörderin, regen sich im Grab. Wenn das Spiel beginnt, kommen die Menschen. Wenn der Vorhang fällt, werden sie gehen. Und die lebenden Masken kriechen nach der Vorstellung wieder in ihre Verstecke, ziehen von der Bühne in ihre Gräber oder in die Zuschauer ein, leise weinend dann, nachdem sie den eigenen Spiegel sahen, ihr gewesenes Leben im Heute, das Fortwachsen des eigenen Fleisches in den Erben, und, dass sie nicht sterben, nicht von der Bühne abtreten können, solange Mord, Hass, Liebe, Neid, Berührung, Fluch bleiben im Menschen, bitter klagend vielleicht über das Sehen ihrer Eingeweide in den Enkeln, um sich dann wieder fortzuschleppen in die Erde, in Feuchte und Dreck einwühlen, wartend auf das nächste Klingelzeichen, auf den nächsten Auftritt, für was nur? - Die Nacht beginnt in der City of London. Schweigen der leeren Straßen. Hinter den Portalen der Banken sitzen Wachmannschaften. In Abständen ein Schatten der an mir vorüberzieht. Die Masse des Tages, die graue Armee aus Justiz und Geldwirtschaft, hat sich in die Vororte verzogen. Ich ziehe durch die Halle der Macht, jede Säule eine Bank, in der das Gold schläft, das Gesetz sich schlägt und umarmt, dieses Glück, das sich schützt vor einer Masse Hunger, und ich sehe wie die ersten Ratten aus der Kanalisation kriechen. - Nach Heathrow Airport, im Schädel die Düsen, Tennental, einige Häuser in Schwaben. Ein Bauer sieht seine Schafe grasen. Hinter den Wänden in seinem Haus hat jedes Tier einen Namen. Die Worte, die er mit seiner Frau eintauscht, haben ein langes Leben. Am Gras, das auf den Weiden wächst, sehen sie, ob es reichen wird für die Rinder im Winter. Die Rechnung einer alten Ehe hinterm Komma. Alles andere ist ausgetauscht. - Im Krug des Dorfes wird der Stammtisch voll. Die Kellnerin freut sich über die alten Gesichter und auf die gleichen Worte. Die Suppe wird aufgewärmt. Man fühlt sich wohl. Das Bier fällt ins Herz und die Ängste aus den Poren. - Berlin, U-Bahn. An der Wand klebt ein Denkzettel für eine Ausstellung. Der Titel lautet: Historie sans fin. Das Bild einer Malerin ist zu sehen. Es könnte die Grundmauern eines Hauses darstellen, von oben betrachtet, ein Haus in geraden Linien, mit einem großen Raum in weiß und einem Seitenarm in weiß. Die anderen Räume gehen von gelb in braun über. Im weißen Teil blutrote Herde. Ein Flickwerk dieser Grundriss, dieses Gemäuer. Drumherum das Land, in braun getaucht wie Erde, in grün wie Gras und in viel rot wie Krieg. Das zusammengekämpfte Haus mit Land. Geschichte ohne Ende. Einen Ausweg sehe ich nicht. Die Künstlerin gab keinen an. Oder was haben diese beiden roten Kanäle zu bedeuten, die aus dem Bild zu fließen scheinen? Kanäle im Rot des Blutes. - Hinter mir schlägt die Tür ins Schloss. Der Geruch meiner Wände. Die Reise ist vorbei. Ich bin angekommen von wo ich loszog. Die Illusion aus Versteck und Freiheit beginnt von vorn, ohne je aufgehört zu haben. Ein Ende ist nicht in Sicht. Ein Ende wird kommen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
 
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