Auszüge aus Theaterstücken »

Der Luxus der Kannibalen

Die Marquise:
Wir ertrinken doch nicht etwa in Erinnerungen, mein Lieber?

Faublas:
Sie wissen wie ich, Vergangenheit ist der gegenwärtige Tod. Manchmal aber, Madame, kommt dieser Leichnam so stark ins Heute, dass man aufpassen muß, nicht an ihm zu sterben. Doch wir haben uns ja weiterentwickelt.

Die Marquise:
Aber mir war eben, als wären Sie der von einst.

Faublas:
Ändert man sich, Marquise?

Die Marquise:
Man wird geändert. Die Zustände, durch die man gehen muss, fordern so sehr, dass oft nicht zu entscheiden ist, ob man im Zustand oder bei sich ist. Und je mehr sich das mischt, desto weniger wird klar, ob ich die Welt oder die Welt mich macht. Wir sind ein Cocktail, Faublas, in verschiedenen Gläsern.

Faublas:
Obwohl wir gerade darüber sprachen, vom Glas wieder in die Flasche gekommen zu sein: Durch Liebe.

Die Marquise:
Liebe. Reden Sie mir nicht von diesem Gespenst. Ich bin in die Jahre gekommen. Liebe ist ein Rausch, der, nur mit Jugend und Gesundheit gepaart, zur Halluzination wird. Die Droge Liebe ist ein frühes Ereignis der Menschheit. Das trifft für mich nicht mehr zu. Mein Abschied klopft bald ans Tor.

Faublas:
Weil Sie nur noch auf seinen Schlag warten. Sie nehmen sich Ihre letzte Zeit, Madame. Welch eine Verschwendung.

Die Marquise:
Was bleibt mir?

Faublas:
Bleiben! Sie sind was Sie waren. Hatten Sie nichts Bleibendes, einen Charakter, ein Geschäft mit sich, dann sind Sie nur eine Existenz aus verschiedenen Zuständen, die mal so, mal anders aussehen. Darin vegetieren Sie jetzt, suhlen sich in Ihren Erinnerungen und warten auf das Klopfzeichen. Jetzt erst sehe ich es: Sie sind nur ein Subjekt aus Eigenschaften.

Die Marquise:
An Ihren Worten klebt Mord.

Faublas:
Ich habe Sie nur seziert, Madame.

Die Marquise:
Da wir gerade über uns reden, Faublas. Wo hat Ihr Trieb Sie in den letzten Jahren, in denen wir nichts miteinander zu schaffen hatten, hingeführt? Sie folgen doch immer noch Ihrem Trieb?

Faublas:
Sie werden intim.

Die Marquise:
Waren es viele Frauen?

Faublas:
Was sagen schon Zahlen.

Die Marquise:
Ein Ergebnis.

Faublas:
Seit wann beschäftigen Sie sich mit Arithmetik?

Die Marquise:
Haben Sie eine geliebt, Faublas?

Faublas:
Ich hatte zu jeder ein Gefühl.

Die Marquise:
Welches?

Faublas:
Ich wusste immer die Frauen, die ich haben wollte, zu bedienen. Ich spielte Ihnen Ihre Vorlieben auch als meine vor. Ich habe mit Ihren Gefühlen gefühlt. Das ist alles. Und wenn ich satt war, dann brauchte ich mich nur von Ihren Gefühlen, die nicht meine waren, zu trennen. Ich habe nie an einer Frau gelitten.

Die Marquise:
Dann spreche ich mit einem Tier. Ein Mensch, der soweit in einen anderen kriecht, um wie dieser zu sein, ist eine Kreatur aus vielen Farben, ein Chamäleon. Sie wechseln Ihr Wesen nach dem Bedarf des Weibes, das Sie besitzen wollen. Was hurt da in Ihnen, daß Sie so sind?

Faublas:
Es geht mir vortrefflich damit, Madame. Im Gegensatz zu Ihnen, weiß ich nicht was Leid ist. Ich bin ein Werkzeug, das Material bearbeitet. Das ist alles.

Die Marquise:
Sie sind ein Reizorgan auf zwei Beinen, Faublas. Eine einzige Reaktion Ihrer eigenen Gier. Und wenn Sie der Reize, die Sie benötigen, satt sind, weil Sie wieder neue brauchen, werfen Sie das Subjekt Ihrer Begierde fort, wie Abfall. Doch dieser Abfall ist ein Mensch. Sie sind die leibhaftige Kälte in der Maskerade eines sensiblen Mannes. Wer aber ist Faublas?
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