Auszüge aus Theaterstücken »

Die Verwandlung

II METAMORPHOSE EINES MENSCHEN ZUM MENSCH
Die Bewerbung

Sommer zweiundneunzig. Ostdeutschland ein Dreiteil jetzt der Bundesrepublik. Der Sieger boxt seine Gesetze durch. Erst die des Marktes, dann die Rechte die dazu gehörn. Ich hab keine Arbeit mehr. Mein Dienstherr wurd gestürzt. Das Ministerium in dem ich war ist der Verleumdung ausgesetzt. Jeder wirft den Stein. Und ich, Offizier der Staatssicherheit, kriech wie ein verschreckter Hund umher, damit ich ungelyncht die Tage übersteh. Wer war ich. Ein Mensch der im Dienst seines Staates stand, und das mit ganzer Überzeugung. Dein Geheimdienst war ein Verbrecherbund, hör ich meine Gegner sagen. Verbrecher. Was meinen die. Und wenn das stimmt, welcher Geheimdienst hat kein Dreck am Stecken. Glaubt ihr der im andern Deutsch Land hat nur Priesterseminare abgehalten. Oder was. Wer seinen Staat von innen nach außen und umgekehrt noch einmal schützt, geht alle Wege. Der Feind muss seine Feinde kennen, sonst bleibt der Staat eine Rechnung ohne Summe. Der eine schützt sich vor dem anderen. Nur, dass ich heut auf der Verliererseite geh und die Archive meines Lebens allen offen stehn. Doch die Riegel, die der Feind vor seinen Giftkammern fest verschlossen hielt, wie wir, sind es immer noch. Der lässt sich auch heut nicht in die Karten sehn. Der Sieger hat alle Rechte, und das auf Schweigen auch. Dagegen komm ich nicht an. Und wenn er meinen Staat zerreißt, meine Arbeit, mich, so muss ich doch in seiner Landschaft wieder ans Erwerben gehn, damit ich leben kann. Und Erwerb. Ganz Ostdeutschland ist eine Wüste. Die Arbeiter reißen ihre Fabriken ein, um dann in Arbeitsämtern anzustehn. Eine Zeit ist das. Arbeitsamt, sowas kannt ich nicht und für ein ganzes Volk war das ein Fremdwort. Jetzt können Sie's buchstabieren. Der Kapitalismus ist einmarschiert. Ich muss zusehn wie ich weiterkomm. Ich hab mich beworben. Immobilien. Eine Firma die in Kauf und Verkauf von Land und Häusern steht. Meine Reputation ist nicht schlecht solange das vergangne Leben stimmt. Ich bin qualifiziert. Ich kenn mein Land, sprech den Dialekt des Ostens und gehör zur intellektuellen Schicht. Und wenn sowieso eine ganze Volkswirtschaft samt Industrie im Ausverkauf verscherbelt wird, warum soll ich nicht hier und dort ein Geschäft draus schlagen. Moral zählt doch nicht. Die Zeit ist eine Mischung aus Mensch und Geld. Eins bedingt das andere, ist eine Einheit, ein Zwei-Gesicht: Das Menschgeld oder der Geldmensch ist die Devise. Und ich bin nur einer, der ein Leben hat. Jetzt und hier muß ich die Tage überstehn. Diese Zeit ist eine Andere. Doch Geld war auch im Osten wichtig. Beim Ministerium stand ich in Brot, ich sags ehrlich, aus Überzeugung und dem Gehalt. Wer nichts verdient kann sich was denn leisten. Und als ich nach dem Fall der Mauer heimlich mir den Westteil Berlins besah, denn mein Brotherr in der Normannenstraße durfts nicht wissen, da dacht ich: Das ist eine Welt für sich. Überall in Farbe Worte, die für eine Ware sprechen. Werbung bis zum Horizont. Im Bunt und frisch lachte die Leiche des Kapitals mich an. Und zum ersten Mal Genossen Marx und Lenin begann ich euch anzuzweifeln. So sieht doch ein Gespenst nicht aus. Was habt ihr gesehn. Oder taugen meine Augen nicht. Der Westen hat doch alles. Was du willst das gibt er dir. Geld vorausgesetzt. Im Osten war der Tag doch eine Schlange, in der man sich für eine Ware die Beine in die Hälse stand. Ein großes Manko war die DDR. Es gab immer das was man nicht brauchte. Und als ich im Westen das Arsenal an Angeboten sah, dacht ich: Warum haben wir das nicht geschafft. Lags am Sozialismus: Wer keine Nöte kennt wird faul. Alles gehört allen und irgendwann macht man nichts mehr. Ich, im Angesicht des Überflusses, sah mit einemmal, dass der Ostblock am Ende war. Mit dem Kapitalismus halten wir nicht mit. So wie in den Schulungen des Marxismus/Leninismus immer wieder propagiert: Der Westen rüstet sich tot, der kann bald seine Armeen nicht mehr bezahlen, wir aber stehen mit einer ganzen Volkswirtschaft hinter unsrer Rüstungsindustrie und werden ökonomisch doch schon siegen, so Genossen ist es nicht. Ihr hättet uns zur Schulung in den Westen schicken müssen, damit wir seine Schaufenster studiern. Dann hätten wir ihn erkannt, den Feind, und vielleicht wär uns dann was Bessres eingefallen. Oder hattet ihr Angst, daß wir im Angesicht des Feindes kapituliern, die Waffen strecken und der Sozialismus sm Anfang schon zu Ende wär. Ihr habt eine Chance vertan. Egal. Das ist Steinzeit. Ich bin hier. Bewerbung in Immobilien. Meine Vergangenheit geht der neuen Firma einen Scheißdreck an. Ich wickel mich in Lügen: Parteilos, Ingenieur undsoweiter. Meine Papiere stimmen. Geld ist alles. Ich brauch den Job. Und dann stand ich vor dem Haus der Firma: Kurfürstendamm. Auf den Treppen ein roter Teppich und in Gold jedes Geländer. Ich nahm die Stufen: So präsentiert sich eine Firma. Von der hätt der ganze Osten allein an diesem Treppenhaus schon lernen können.
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